Vorwort zur dritten Ausgabe

Vorwort zur zweiten Ausgabe

Vorwort zur ersten Ausgabe

Vorwort zur zweiten Ausgabe

Wir freuen uns darüber, dass die erste Auflage dieses Buches – wir hatten 2500 Exemplare gedruckt – in nicht einmal einem Monat verkauft werden konnte. Und wir freuen uns über die positive Resonanz bei vielen Lesern und Medien. Das Buch hat weit über Stuttgart hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Berichte gab es in verschiedenen Regionalzeitungen, in bundesweit erscheinenden Blättern wie dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und in englischsprachigen Zeitungen. Auch Hörfunk- und Fernsehanstalten sowie Agenturen und Online-Medien haben berichtet oder das Buch rezensiert. Die Stuttgarter Zeitung hat im Wirtschaftsteil einen Auszug aus dem Porsche-Kapitel von Ulrich Viehöver vorab veröffentlicht.Überschrift: Porsche – die dunklen Seiten in Zuffenhausen.

Einige der Pressestimmen stehen auf der Buchrückseite. Hier weitere Auszüge: „Der Filmemacher und Journalist Hermann G. Abmayr hat 30 Autoren um sich geschart und ein Buch herausgegeben, das die Täter von damals benennt und beschreibt und erneut die Frage aufwirft, warum sich so viele von den Nazis instrumentalisieren ließen.“ Barbara Czimmer, Stuttgarter Nachrichten, 2. Oktober 2009

„Das Buch macht die viel zitierte ‚Banalität des Bösen‘ greifbar, indem es die Umstände und Motive beschreibt, die Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten zu Stützen eines verbrecherischen Systems werden ließ.“ Oliver Stenzel, lift Stuttgart, Oktober 2009

„Auch wenn sich das Buch nur auf Stuttgarter Täter zu konzentrieren scheint, ist es dennoch auch für Nicht-Stuttgarter sehr lesenswert: Denn diese ‚ganz normalen Menschen’ gab es überall in Deutschland. Gestern wie heute.“ Ramona Ambs, buecher.hagalil.com, 20. Oktober 2009

„A significant chapter is devoted to Porsche's founder, Ferdinand Porsche (1875–1951). Viehover describes him as ‚Hitler's favorite engineer' and says the men knew each other.“ Ofer Aderet, Haaretz, 11. Oktober 2009

Der Stuttgarter Schriftsteller Wolfgang Schorlau nannte das Buch überfällig: „Das oft – und leider oft auch inhaltsleer – beschworene ‚Nie wieder’ bleibt wirkungslos, wenn wir die Namen und Charaktere der damaligen Täter nicht kennen. Mich schreckt, wie nahe sie unserer heutigen Zeit sind.“

Wir freuen uns auch über die große Resonanz, die die erste Lesung aus unserem Buch im Stuttgarter Schauspielhaus hatte. Einige Ausschnitte haben wir ins weltweite Netz gestellt. Sie können unter „Stuttgarter-NS-Täter.de“ unter der Rubrik „Lesung“ betrachtet werden.

Erfreulich ist die Reaktion der Porsche AG auf die Recherchen von Ulrich Viehöver. Das Unternehmen will unabhängige Historiker mit einer Studie beauftragen, die sich mit den neuen Erkenntnissen befassen soll. Dies hat Porsche der israelischen Zeitung „Haaretz“ gesagt.

Offen geht Helga Breuninger, die Enkelin des NS-Täters Alfred Breuninger, mit der Vergangenheit ihrer Familie um. Gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ erklärte sie: „Ich finde die Intention des Buches richtig.“

Auch Stuttgarter Gemeinderäte wollen, dass sich die Stadt intensiver mit ihrer NS-Vergangenheit beschäftigt. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat Mitte Oktober angekündigt, beim Stadtarchiv einen Arbeitskreis bilden zu wollen, der die Zeit des Nationalsozialismus erforscht. Dem Kreis sollen Experten der Universitäten, Archive, Museen und Gedenkstätten angehören.

Einige Autoren haben um kleine Korrekturen gebeten. Dabei ging es neben Schreibfehlern beispielsweise um eine falsche Signatur, einen falschen Zeitungstitel oder um die Präzisierung einer Aussage, die erst nach Redaktionsschluss möglich war.

Stuttgart, Ende Oktober 2009
Hermann G. Abmayr

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Vorwort zur ersten Ausgabe

Vom Mitläufer bis zum Massenmörder

„Es gibt Ungeheuer, aber es sind zu wenige, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlicher ist, das sind die normalen Menschen.“

Primo Levi.

Oft sahen sich die NS-Täter nur als Befehlsempfänger. Ihr Standardsatz lautete: Wir haben nur unsere Pflicht getan für Volk und Vaterland.“ Doch wer war eigentlich ein NS-Täter? Nur Hitler und seine Massenmörder? Sicher nicht. Die Spannbreite der Täter, denen wir uns in diesem Buch anzunähern versuchen, ist groß. Sie reicht vom Mitläufer bis zum Massenmörder.[1]

In den 38 Personen-Kapiteln stellen wir 45 Täter ausführlich vor – zum Teil in Doppelporträts. Die beiden Richter-Kapitel enthalten außerdem eine Aufstellung von zwölf „Rasseschande“- und Sonderrichtern und deren Urteile. Und im Kapitel über die braune Rathausspitze zählen wir eine ganze Reihe von Tätern auf, die ansonsten nicht näher beschrieben werden.

Mit Ausnahme von Ferdinand Porsche sind nur wenige der vorgestellten Täter halbwegs bekannt; viele sind in der öffentlichkeit noch nie genannt worden. Es sind Richter, Ärzte, Unternehmer oder Gemeinderäte, Gestapo-Leute, KZ-Aufseher oder Denunzianten. Es sind Mitglieder der NSDAP, aber auch einige Nicht-Mitglieder. Es sind Straftäter, die verurteilt wurden, und es sind Täter, die sich nie vor einem Gericht rechtfertigen mussten. Ihre Tat war – unabhängig davon, wie man sie rechtlich beurteilen mag – immer auch eine politische. Sie haben den zwölf Jahre dauernden Terror des NS-Regimes dadurch ermöglicht, dass sie mitgemacht haben – als Verkünder rassistischer Theorien, als gläubige NSDAP-Mitglieder, als von den Nazis ernannte Gemeinderäte, der Karriere oder sonstiger Vorteile wegen oder, oder, oder.

Die 30 Autorinnen und Autoren dieses Buches beschreiben je nach Fall und Quellenlage NS-Täter und ihre Taten, deren Banalität und teilweise auch die Umstände, die dazu führten. Wir wollen uns nicht mit der herkömmlichen These begnügen, dass die Täter Sadisten oder lediglich Befehlsempfänger oder Schreibtischtäter waren – Sadisten, die als SS-Mörder auf die Welt kamen, Schreibtischtäter, die 16 vom Mordgeschehen weit entfernt waren, oder Befehlsempfänger, die nicht anders handeln konnten. Neuere Forschungen zeigen, dass es keinen homogenen Tätertyp gibt.

NS-Täter zu werden war (und ist) kein Naturgesetz. Die beiden KZ-Aufseher Wilhelm Boger und René Roman (KZ Echterdingen), über die dieses Buch berichtet, sind nach dem Krieg verurteilt worden. Ein anderer KZ-Aufseher, Erwin Dold, wurde am 1. Februar 1947 von einem französischen Militärtribunal in Rastatt wegen „erwiesener Unschuld“ freigesprochen. Das Urteil stützt sich auf die Aussagen von ehemaligen Häftlingen. Auch das war möglich: Dold hatte für die Häftlinge Kleidung und Nahrung besorgt und er hatte sich geweigert, für eine geplante Erschießung von 23 sowjetischen Offizieren ein Exekutionskommando zu benennen.

Ich hoffe, dass dieses Buch einen kleinen Beitrag bei der dringend nötigen NSTäter- Forschung leistet. Die Erforschung des „Referenzrahmens“, in dem die Täter gehandelt haben, befindet sich noch am Anfang. Dieser vielschichtige Rahmen, der wirtschaftliche, politische, soziale, psychologische und andere Faktoren beinhaltet, bildet die Struktur für die Wahrnehmung des einzelnen Menschen und damit für seine Interpretationen, Entscheidungen und für seine Handlungen.[2] Wenn wir all diese „Referenzen“ analysieren, können wir besser verstehen, warum ein Mensch NS-Täter wurde. Und dies ist wichtig, um aus der Geschichte zu lernen (siehe dazu auch das einleitende Kapitel von Wolf Ritscher).

„Täter“ gibt es auch heute noch – in Deutschland und anderswo. Wir alle tun etwas, sind gesellschaftliche Wesen und insofern „Täter“. Manche sind Wohltäter, helfen anderen oder helfen sich gegenseitig. Andere sind übeltäter, verantwortlich für soziale Not, für Terror oder dafür, dass Menschen zu Tode kommen. Niemand ist prinzipiell davor gefeit. Täter-Forschung ist deshalb nicht nur ein Rückblick auf das „Dritte Reich“, auf furchtbare Juristen, mordende ärzte oder diejenigen, die sich lediglich als Mitläufer betrachtet haben. Täter-Forschung ist eine Aufgabe der Gegenwart. Wer meint, ein (Übel-) Täter sei an seiner braunen, schwarzen oder sonst einer Uniform zu erkennen, der irrt. Das galt, wie dieses Buch zeigt, nicht einmal für die Nazizeit.

Das Buch „Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer bis zum Massenmörder“ geht auf eine Initiative aus Stuttgarter Stolperstein-Gruppen zurück. Bisher haben sich die Initiativen um die Opfer gekümmert – um Männer, Frauen und Kinder aus Stuttgart, die von Nazideutschland ermordet wurden. über 500 Steine haben die mittlerweile 14 Stadtteil-Initiativen in den vergangenen sechs Jahren zusammen mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt. Sie haben damit am letzten Wohnort der Opfer eine Spur hinterlassen. Die Steine erinnern an ermordete Juden, Sinti, Behinderte, psychisch Kranke, Deserteure, Zeugen Jehovas, Nazigegner und Widerstandskämpfer. 2006 haben die Initiativen ein Buch über einige der Opfer vorgelegt, denen sie Stolpersteine gewidmet hatten.[3]

Mit ihrer Arbeit haben die Stolperstein-Gruppen dazu beigetragen, dass das Thema Nationalsozialismus auch als ein Thema der Stadt und ihrer Bewohner erkannt wird. Mit den Stolpersteinen wurde deutlich, dass die Opfer nicht aus fernen Regionen stammten und irgendwo im Osten ermordet wurden. Nein, sie waren unsere Nachbarn, wohnten oder arbeiteten in unseren Straßen, hatten Familien und Freunde hier.

Bei den Recherchen über die Opfer sind die Mitglieder der Initiativen immer wieder auf Namen von Stuttgartern gestoßen, die auf die eine oder andere Weise in die Verfolgung verstrickt waren. So stieß Karl-Horst Marquart von der Vaihinger Stolperstein-Initiative auf die Namen der NS-Täter Hans Junginger und Wilhelm Fischer. Marquart hatte über den Tod der NS-Opfer Gottlob Häberle und Eugen Banz geforscht, denen je ein Stolperstein gewidmet wurde. Harald Stingele interessierte sich – als langjähriger Mitarbeiter des Stuttgarter Jugendamts – für den Fürsorgebeamten Karl Mailänder. Der Name ist ihm bei den Recherchen über die Ermordung der Geschwister Kurz, vier Zigeuner-Kinder aus Stuttgart-Bad Cannstatt, begegnet. Gerhard Hiller von der Initiative im Stuttgarter Osten stieß auf den Namen Eugen Notter. Notter übernahm in der Nazizeit ein Haus, vor dem heute mehrere Stolpersteine für ermordete Juden liegen. Kannte Notter die Bewohner des Hauses? War er ein Profiteur der „Arisierung“? Und wenn ja, was hat er getan, um das Haus zu bekommen? Die Recherchen ergaben, dass Notter ein brauner Arbeiterführer war und im Gemeinderat saß. über einen anderen Fall stieß Gerhard Hiller auf den Namen des Reichsbankrats Ernst Niemann, der etliche Stuttgarter Juden finanziell erpresst hatte.

Stuttgarter Bürger haben sich bei der „Arisierung“ bereichert, haben gefoltert oder haben gemordet. Die meisten von ihnen haben Kinder und Enkel, die unter uns leben und sich in sehr unterschiedlicher Art und Weise mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen. Zwei von ihnen haben einen Beitrag für dieses Buch verfasst – nicht mit der Distanz des Historikers oder des Journalisten, sondern subjektiv: Malte Ludins Vater ist wegen seiner Verbrechen 1947 zum Tode verurteilt worden. Ursula Bogers Großvater, ein KZ-Aufseher, ist im ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt worden.

Wir haben aber auch Familienangehörige erlebt, die mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung drohten. So hat sich ein Rechtsanwalt gemeldet, der die Interessen 18 einer Angehörigen eines Sonderrichters vertritt. Er sei „mit der Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen“ beauftragt worden. Und er wollte noch vor Erscheinen dieses Buches Einfluss auf das entsprechende Kapitel nehmen.

Den Autorinnen und Autoren ist es in vielen Fällen gelungen, Täter und Taten zu beschreiben, über die bisher noch nie oder nur in Randbemerkungen publiziert wurde. über Ferdinand Porsche (und seinen Sohn Ferry) gibt es zwar einige Veröffentlichungen, aber die beziehen sich vor allem auf den „genialen Ingenieur“ und das Volkswagen-Projekt. über das Wirken des Porsche-Piëch-Clans während der Nazizeit in Stuttgart ist bisher wenig bekannt. Autor Ulrich Viehöver hat sich deshalb genau darauf konzentriert. Er kann jetzt erstmals die Wege der Porsche- Millionen nachzeichnen, die während der Nazizeit angehäuft wurden. Und er enthüllt, dass der Clan noch kurz vor Kriegsende so viel Geld abgezwackt und nach österreich transferiert hat, dass die Firma in Zuffenhausen weder die Lieferanten noch die Löhne bezahlen konnte. Viehöver macht auch Schluss mit der Legende, Porsche in Zuffenhausen sei nur ein Konstruktionsbüro mit angeschlossener Werkstatt gewesen. Nein, Porsche ist während der Nazizeit sprunghaft gewachsen und beschäftigte 1944 über 600 Männer und Frauen, im Laufe der letzten Kriegsjahre auch mehrere Hundert Zwangsarbeiter.

Porsche hat zwar viel Geld für das neue Museum in Zuffenhausen ausgegeben, doch eine kritische Untersuchung der eigenen NS-Geschichte steht noch immer aus. Das Gleiche gilt für Firmen wie die Kaufhäuser Breuninger und Breitling (siehe die Beiträge in diesem Buch). Andere Unternehmen, wie VW oder Daimler, haben sich zumindest in den 80er- und 90er-Jahren für mehr Offenheit entschieden; die Unternehmensleitungen haben Historiker damit beauftragt, die Firmengeschichte in der NS-Zeit zu erforschen und die Ergebnisse zu publizieren.

Die Recherchen über die Stuttgarter NS-Täter waren oft schwierig. So wollte die Stuttgarterin Gertrud Moll für dieses Buch über den Bosch-Ingenieur Emil Koch [4] schreiben. Er hatte im Spruchkammerverfahren eingeräumt, russische Kriegsgefangene im Zweigwerk in Stuttgart-Mühlhausen geschlagen zu haben. Doch über das Leben Kochs war nicht viel zu erfahren, sodass wir das Kapitel streichen mussten. Gerhard Hiller wollte über den Notar Thomas Renner [5] schreiben. Auf dessen Namen wurde Hiller bei den Recherchen über den Tod von Anna Wieler und des Ehepaars Benno und Ida Jakob aufmerksam. Sie wohnten in der Werfmershalde 12. Thomas Renner ist in das Haus 1942 eingezogen. Hiller hat herausgefunden, dass sich der Notar in der NS-Zeit nicht auf die Verwaltung des Grundbuchs und die Beurkundung von Willenserklärungen beschränkt hatte. Er machte zusammen mit seiner Ehefrau auch eigene Grundstücksgeschäfte und profitierte von der „Arisierung“. Für ein Renner-Kapitel gab es allerdings ebenfalls zu wenige Quellen.

Angesichts der zum Teil schlechten oder auch widersprüchlichen Quellenlage und der vielen Halbwahrheiten und Lügen, die während und nach der NS-Zeit verbreitet wurden, war es nicht einfach, das Leben der Täter und ihre Taten zu beschreiben. Fehler sind deshalb nie ausgeschlossen. Für entsprechende Hinweise sind wir dankbar.

Stuttgart, Ende September 2009
Hermann G. Abmayr


Fußnoten

[1] Bei den Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg war der „Mitläufer“ die vierte von fünf Kategorien. An erster Stelle stand der „Hauptbelastete“, es folgten der „Belastete“ und der „Minderbelastete“. An fünfter Stelle stand der „Entlastete“.

[2] Siehe dazu auch Welzer, Harald: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt/Main 2005.

[3] Stuttgarter Stolpersteine, Spuren vergessener Nachbarn, Filderstadt 2006.

[4] Emil Koch, geboren am 8. Dezember 1899, stammte aus Stuttgart-Weilimdorf.

[5] Thomas Renner, geboren am 30. August 1898 in Stuttgart, war seit 1938 Bezirksnotar – eine schwäbische Variante des Amtsnotariats –, zuletzt im Bezirksnotariat A Stuttgart, Urbanstraße 31a.

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